Ungewohnter Besuch an unserer Schule

Am Montag, den 12. Juni 2006 hatten wir Besuch aus der Ukraine. Eine Frau und ein Mann, die als Zwangsarbeiter in Gotha und Erfurt in ihrer Jugend waren. Interessierte Schüler aus den Klassen 10 und 11 haben sich im Raum III/10 zusammengefunden um den ehemaligen Zwangsarbeitern zuzuhören, was sie erlebt haben bei uns in Deutschland. Anastasia, eine junge Frau, die als Kind in Russland lebte und später nach Deutschland zog, übersetzte uns die zwei Geschichten der Zwangsarbeiter. Mit einigen Unterbrechungen durch Frau Kachel, die Organisatorin, die uns manches noch etwas genauer erklärte, konnten wir den einzelnen Geschichten gut folgen, die wir euch nun etwas näher bringen wollen.

Meschtscherjakow Leonti, aus Kiev, wurde im April 1941 nach Deutschland verschleppt, denn in Deutschland wurden im Winter sehr viele Brücken zerstört, diese musste wieder repariert werden. Da jedoch viele Arbeiter an den Fronten kämpften, mussten Zwangsarbeiter aus besetzten Gebieten nach Deutschland gebracht werden. Zunächst wurde Propaganda in der Ukraine gemacht, aber es fanden sich zu wenig freiwillige Arbeiter und somit mussten die jungen ukrainischen Männer zu einer Untersuchung und dort wurde festgelegt, wer nach Deutschland verschleppt wird.

Die erste Station von Meschtscherjakow Leonti war Georgienthal, wo er an den Bahnschienen arbeitete. Danach kam er nach Erfurt, wo er an 30 Gleisen arbeitete und die Wagons sortierte bis zum Kriegsende im Jahr 1945. Die Arbeiter hatten die gleichen Arbeitsstunden wie die Deutschen, nämlich 8 Stunden am Tag in 3 Schichten aufgeteilt. Des Weiteren verdienten sie das gleiche Geld wie ihre deutschen Mitarbeiter. Jedoch mussten sie höhere Steuern zahlen, sie durften in keine Läden und ins Kino gehen und mit dem Geld was sie verdienten zahlten sie die Wohnungsmiete.

Sie mussten zu ihrer Arbeit laufen und zurück, denn sie durften nicht mit der Straßenbahn fahren. Sie wohnten in der Thomasstraße. Für die Zwangsarbeiter gab es einen Raum im Haus, wo sie sich trafen und Nahrungsmittel tauschten oder Zigaretten eintauschten.

Als 1945 die Bombenangriffe auf Erfurt waren, versteckten sich alle Bewohner des Hauses im Keller, außer Meschtscherjakow Leonti, der sich zu der Zeit wo anders aufhielt. Das Haus, in dem er wohnte war vollkommen zerstört und alle seine Mitbewohner waren durch die Trümmer des Hauses getötet worden. Das Leben war schwer, während der Bombenangriffe, bis die Amerikaner Deutschland befreiten. Alle Zwangsarbeiter kamen in ein Lager und die Spannungen zwischen USA und UdSSR (heutiges Russland) im Kalten Krieg waren spürbar. Die ehemaligen Zwangsarbeiter hatten die Wahl in Deutschland zu bleiben oder zurück in die Ukraine zu gehen.

Meschtscherjakow Leonti blieb zunächst in Deutschland, denn er hatte zwei Brüder, die er suchen wollte, die ebenfalls nach Deutschland und Österreich verschleppt wurden. Als Meschtscherjakow Leonti zurück nach Hause in die Ukraine kam, machte ihm sein längst tot geglaubter Bruder die Tür auf. Und so lebt er bis heute in Kiev.

Auch das Schicksal von Chmelnizka Ljnkow hat uns sehr getroffen. Unsere Gesichter wurden zunehmend mitfühlender, was nicht nur an ihrer Geschichte, sondern auch an ihrer verzweifelten Erzählweise lag.

Auch sie kam aus Kiev und wurde, als die Deutschen kamen, von ihnen nach Deutschland verschleppt. Ihre Mutter wollte noch die Kinder aus der Schule, in die sie auch ging, evakuieren, aber es war zu spät.

Zu dieser Zeit war Chmelnizka Ljnkow noch sehr jung. Man brachte sie nach Gotha. Mit vielen Menschen, die meisten Älter als sie, lebte sie in einem Lager und sollte im Flugzeugwerk Gotha arbeiten. Doch sie lernte einen Mann kennen, der sich ihrer annimmt, weil er Mitleid mit ihr hatte. Er kümmerte sich um sie, beschützte und versteckte sie – er war wie ein Vater zu ihr – und er gab ihr Arbeit: in einer Feuerwache.

Irgendwann hatte sie die Möglichkeit in ihre Heimat zurück zu kehren. Sie fuhr mit einem vollen Zug nach Buchenwald und von dort aus gelangte sie weiter nach Kiev.

Als ihre Mutter, die sich mit einer Nachbarin unterhielt, sie sah, fiel sie in Ohnmacht, da sie dachte, ihre Tochter sei tot. Längere Zeit lag Chmelnizka Ljnkows Mutter im Koma.

Doch die Menschen, die nach Hause zurück kehrten, wurden wie Aussätzige behandelt. Ihre Landsleute brachten ihnen großes Misstrauen entgegen, da sie glaubten, dass die heimkehrenden Zwangsarbeiter mit dem deutschen faschistischen Regime zusammen arbeiteten. Nicht wenige von diesen Menschen wurde nach Sibirien in Pollacks verbannt und erlebten nochmals eine schlimme Zeit, obwohl sie diese eigentlich hinter sich lassen wollten, nach ihrem schrecklichen „Aufenthalt“ in Deutschland. Jedoch zählte Chmelnizka Ljnkow nicht dazu, sie war zu jung, zum Glück.

Sie erhielt dann eine Anstellung in einem Betrieb, in dem auch deutsche Gefangene arbeiten mussten. Die dortigen russischen Geschäftsführer behandelten die Deutschen nicht gut, sie misshandelten sie, und sie wurden später dafür verurteilt.

Chmelnizka Ljnkow sprach sehr schnell und die Dolmetscherin hatte Mühe ihr Schicksal zu übersetzen. Vielleicht dachte sie, wir können sie verstehen – das konnten wir, nur die Sprache leider nicht.

Abschließend sagte Chmelnizka Ljnkow, sie hätte keinen Hass auf Deutschland, sie hatte eher Angst davor dieses Land wieder zu sehen und es zu betreten, obwohl ihre Tochter hier studiert.

So erlangten wir wenige, aber durchaus interessante und auch erschütternde Informationen über diese Menschen, die hier als Zwangsarbeiter zur Zeit des Nationalsozialismus so viel erleiden mussten.

Organisiert wird dieses Projekt vom Osteuropaverein Erfurt e.V., bei dem wir uns für den Besuch der beiden ehemaligen Zwangsarbeiter recht herzlich bedanken.

Wir wünschen den Heimkehrenden ein weiteres glückliches Leben im Kreise ihrer Familien.

Kerstin Witter und Ulrike Rauchmaul